08.07.2013
Westliche Syrienpolitik: Von allen guten
Geistern verlassen oder Spekulation auf Abnutzungskrieg?
Von Uli Cremer
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mit Fußnoten
Die Nachrichten aus Syrien werden nicht besser: 100.000 Opfer
hat der Krieg schon gefordert, Millionen sind auf der Flucht.
Gleichzeitig werden die Rufe nach Waffenlieferungen an die
Rebellen und nach einer westlichen Militärintervention
immer lauter. Als Scharfmacher profiliert sich schon länger
der Afrika-Redakteur und Auslandschef der taz Dominic Johnson.
Bereits im Oktober 2012 war seine Position klipp und klar:
„Nur durch eine militärische Intervention ist das
Morden überhaupt noch zumindest punktuell einzudämmen
und ein Stück Hoffnung am Leben zu erhalten.“ Den
NATO-Ländern rief er zu: „Ein Eingreifen hinauszuzögern
oder gar ganz zu verhindern bedeutet, wissentlich den Tod
weiterer zehntausender Syrer in Kauf zu nehmen...“ Das
wäre seines Erachtens zu tun: „Was Intervention
konkret heißen müsste, daran hat sich in den letzten
Monaten nichts geändert: das gezielte Ausschalten der
wichtigsten Luftwaffenstützpunkte und Raketenstellungen
des Regimes, die Entsendung von Schutztruppen für die
befreiten Gebiete, die Sicherung humanitärer Hilfe für
die Kriegsopfer.“
Am 19.6.13 legte Johnson in einem weiteren taz-Kommentar
nach: „Die einzige richtige Reaktion ist ein Eingreifen
von der Art, das Regime möglichst schnell kampfunfähig
zu machen... Nur ein Regimewechsel in Damaskus ist eine angemessene
Antwort auf die Frage, die der Einsatz chemischer Kampfstoffe
stellt.“
Die Chemiewaffen-Geschichten
Johnson teilt die Position der NATO-Regierungen aus Ankara,
London, Paris und Washington, die seit einigen Wochen behaupten,
das Assad-Regime habe C-Waffen eingesetzt, und zwar nicht
nur Tränengasmixturen, sondern einen ausgewachsenen chemischen
Kampfstoff: Sarin. Entsprechende Vorwürfe kursieren seit
Monaten, wobei die syrischen Bürgerkriegsparteien sich
gegenseitig beschuldigen, C-Waffen zum Einsatz gebracht zu
haben. So rief die Assad-Regierung im März 2013 den UN-Sicherheitsrat
wegen eines Vorfalls in der Nähe von Aleppo an, um dann
aber später eine UN-Untersuchungskommission nicht ins
Land zu lassen. Schließlich wollte Assad das syrische
C-Waffenarsenal nicht offenlegen, das es offiziell gar nicht
gibt: „Wir haben weder erklärt, das wir chemische
Waffen besitzen, noch, dass wir sie nicht besitzen... Sie
(gemeint sind: Britannien und Frankreich, UC) wollten, das
die Kommission Zugang zu allen Plätzen bekommt und die
gleiche Arbeit verrichtet, die einst die Waffeninspekteure
im Irak getan haben. Dabei haben sie sich in Angelegenheiten
eingemischt, die nicht unter ihre Befugnisse fallen. Wir sind
ein Staat, wir haben unsere Armee, wir haben unsere Geheimnisse.
Wir werden niemandem erlauben, sich Einblick in sie zu verschaffen,
nicht den UN, nicht Frankreich, nicht Großbritannien,
nicht anderen.“ Fakt ist, dass der „Opposition...
in der Nähe von Aleppo eine Chlorgasfabrik in die Hände
gefallen“ ist. „Aber ob sie daraus funktionsfähige
Waffen herstellen kann, ist unklar.“
Niemand Geringeres als die Schweizerin Carla del Ponte (ehemalige
Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes
für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und seit
2011 Mitglied der UN-Sonderkommission für die Untersuchung
von Menschenrechtsverletzungen in Syrien) erhob den gleichen
Vorwurf gegen die Rebellen in einem Interview mit Radiotelevisione
Svizzera: „Ausgehend von den Angaben, die die Kommissionsmitglieder
nach ihren Besuchen in an Syrien angrenzenden Ländern
bekommen haben, könne man den Schluss ziehen, dass ‚die
Opposition und nicht die Regierung‘ C-Waffen, speziell
Sarin, eingesetzt hätten. Entsprechende Zeugenaussagen
haben die Mitglieder der Kommission von ‚Ärzten,
Betroffenen und Mitarbeitern von Feldspitälern‘
bekommen.“ Natürlich ließen Dementis von
allen Seiten nicht lange auf sich warten, aber entscheidend
ist, dass die UN-Untersuchungskommission unter Leitung des
Brasilianers Pineiro Anfang Juni zu dem Schluss kam: »„Es
war auf der Basis des vorliegenden Beweismaterials nicht möglich,
die konkrete chemische Substanz, das Abschuss-System oder
Täter festzustellen.” Weitere Ermittlungen seien
erforderlich.« Berichtet wurde von vier Fällen.
10 Tage später kam die US-Regierung zum entgegen gesetzten
Schluss: Man habe eindeutige Beweise. Von „bis zu 150
Todesopfern“ war die Rede, die Einsätze seien „im
vergangenen Jahr“, also 2012 (!) erfolgt . Die von Obama
2012 erfundene „rote Linie“ war mithin überschritten.
Die britische und die französische Regierung hielten
das Assad-Regime bereits einige Tage vorher in einigen Fällen
für überführt. Diese stützen sich auf
Proben, die der Le Monde-Journalist Rémy im Mai 2013
aus Syrien nach Paris transportiert hatte und die dann vom
französischen Geheimdienst untersucht wurden. Dabei geht
es um einen Giftgasangriff aus dem April 2013. Rémy
war zwei Monate auf Seiten der Aufständischen in Syrien
unterwegs und erlebte den Angriff selbst mit. Es soll sich
um einen Cocktail aus Tränengas mit C-Waffen-Substanzen
gehandelt haben.
Insofern reden Washington und Paris von verschiedenen Zeiträumen,
Einsätzen und Beweisstücken. Auch die britische
Regierung hat Proben erhalten und untersucht. Jedoch: „Keine
Informationen gab es darüber, wo, wann und von wem die
Proben entnommen wurden.“
Ein weiterer Giftgasexperte ist der türkische Ministerpräsident
Erdogan. Er behauptete bereits am 10.5.2013, seine Geheimdienste
„verfügten über Erkenntnisse, wonach das Assad-Regime
etwa 200 Raketen mit Giftgas eingesetzt habe.“ Daraus
müssten nach menschlichem Ermessen weit mehr als „bis
zu 150 Opfer“ resultiert sein.
Die C-Waffen-Geschichten der verschiedenen NATO-Regierungen
sind also nicht einmal synchronisiert. Gerichtsfeste Beweise
sind weder der Öffentlichkeit, noch dem UN-Sicherheitsrat
vorgelegt worden. Deswegen fühlt sich die russische Regierung
an die Präsentation von US-Außenminister Powell
vor dem UN-Sicherheitsrat 2003 erinnert. Damals hatte die
US-Regierung „Beweise“ für irakische Massenvernichtungswaffen
vorgelegt und wenige Wochen später ihren Angriffskrieg
gegen den Irak begonnen. Auch Assad selbst streitet den Einsatz
von C-Waffen vehement ab: „Es ist unlogisch, Chemiewaffen
einzusetzen, um eine Zahl von Menschen zu töten, die
durch Einsatz konventioneller Waffen erreicht werden kann.“
In 2012 hatte die Assad-Regierung die Position bezogen, dass
es die eigenen Chemie-Waffen einsetze, wenn es von außen
angegriffen werde. Sinn der Nachricht war seinerzeit allgemeine
Abschreckung: Wir besitzen einsatzfähige Massenvernichtungswaffen.
Diese schützen überall auf der Welt ihre Besitzer
vor militärischen Angriffen. Sie stellen eine Machtwährung
da, die die USA und die anderen führenden Militärmächte
anerkennen. Allerdings sind C-Waffen verglichen mit Atomwaffen
nur 3.Liga. Klar ist, dass die westlichen Mächte gegen
ein atomar aufgerüstetes Syrien keine Militärintervention
unternehmen würde.
In den letzten Jahrzehnten sind C-Waffen durchaus eingesetzt
worden, nämlich durch das irakische Saddam-Hussein-Regime.
Im Rahmen des ersten Golfkrieges ging der Irak 1987/88 mehrfach
mit C-Waffen gegen den Iran vor. Der erste große Einsatz
fand im Juni 1987 gegen die iranische Stadt Sardasht statt.
Am bekanntesten ist aber der Angriff auf Halabdscha durch
die irakische Luftwaffe im März 1988. Die Stadt war zuvor
von iranischen Truppen und kurdischen Verbänden erobert
worden. Bis zu 5.000 Menschen wurden getötet. Der Iran
versuchte die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen,
indem jeweils westliche Journalisten die Orte besichtigen
konnten. Der Angriff auf Halabdscha wurde auch vor den UN-Sicherheitsrat
gebracht. Dieser war jedoch blockiert: Die drei westlichen
Veto-Mächte verhinderten die Verurteilung des Iraks mit
ihrem Veto! Denn damals wurde der Irak vom Westen unterstützt.
Außerdem gab es noch Versuche, den Iran für die
Giftgaseinsätze verantwortlich zu machen. Aus all dem
folgt, dass C-Waffen-Einsätze von westlichen Hauptstädten
nicht prinzipiell abgelehnt werden. Aber sie werden nur geduldet,
wenn der Urheber eigener Bündnispartner ist. Und diesen
Status hat das Assad-Regime nun einmal zur Zeit nicht.
Entscheidende Fragen zu den behaupteten C-Waffen-Einsätzen
werden in den Mainstreammedien nicht gestellt und sind offensichtlich
ungeklärt. Erstens: Um welche Vorfälle geht es überhaupt?
Wo? Wann? Wie viele Opfer? Welche Beweisstücke können
Paris, London, Ankara und Washington vorlegen, um den Einsatz
von C-Waffen zu beweisen? Zweitens: Wer waren die Täter?
Welche Beweise haben die vier Regierungen dafür, dass
das Assad-Regime Täter war und die C-Waffen eingesetzt
hat? Drittens: Wenn Assad-Regime verantwortlich ist: Von wem
sind die Befehle erteilt worden? Von Assad selbst? Sind untergeordnete
Ebenen aus dem Ruder gelaufen und haben ohne Befehl von oben
gehandelt? Oder haben sie C-Waffen abgeschossen, um anschließend
zu den Aufständischen überzulaufen? Viertens: Welches
Motiv haben die Täter?
Die „Zeit“ weist immerhin auf einige Ungereimtheiten
hin: „So fällt auf, dass bisher in keinem einzigen
Bericht über das Geschehen in Syrien das wichtigste und
untrügliche Symptom für Nervenkampfstoffe erwähnt
wurde: die dramatische Verengung der Pupillen. Ferner gibt
zu denken, dass nichts Genaues über die Opfer bekannt
wurde. Sind Tote zu beklagen? Wie viele Verletzte waren es?“
Die regierungsnahe SWP will ebenfalls keine schnelle, abschließende
Bewertung vornehmen: „Angesichts dieser Vielzahl an
Indizien aus unterschiedlichen Quellen ist kaum mehr zu bezweifeln,
dass in Syrien tatsächlich chemische Kampfstoffe, insbesondere
Sarin, freigesetzt wurden. Allerdings genügen die Belege
bisher nicht den strengen Ansprüchen einer internationalen
Untersuchung. Problematisch bleibt vor allem die Authentifizierung
der Proben, deren Weg in die Labors sich von außen nicht
nachvollziehen lässt. Solange die Beweiskette nicht gesichert
ist, besteht auch die Möglichkeit, dass Proben manipuliert
wurden. Es fehlen zudem belastbare Belege dafür, wer
die Freisetzung chemischer Kampfstoffe zu verantworten hat.“
Mit der Frage nach den Tätern geht die Frage nach dem
Motiv der Tat einher. Also: Welches Motiv sollte das Assad-Regime
für den Einsatz von C-Waffen haben? Wir rekapitulieren:
Im Sommer 2012 drohen Paris und Washington mit einer Militärintervention,
sofern bzw. sobald C-Waffen eingesetzt würden. Daraufhin
setzt das Assad-Regime dann C-Waffen ein, um beide Regierungen
zur Militärintervention einzuladen? Demnach wäre
Assad ein politischer Selbstmörder oder „ein Irrer“,
dem man eben alles zutrauen darf. Das ist eine wenig überzeugende
Theorie, die nicht besser wird, wenn sie immer wieder aufgetischt
wird.
Ein Motiv für eine C-Waffen-Einsatz hätten nur
die Gegner des Assad-Regimes, die Aufständischen und
ihre internationalen Verbündeten bzw. Unterstützer.
Sie versuchen seit zwei Jahren, nach dem Vorbild des Libyen-Krieges
2011 oder auch des Kosovo-Krieges 1999 NATO-Luftwaffenunterstützung
für die Aufständischen zu erreichen. Ihre PR-Kampagen
müssen das Assad-Regime maximal verbrecherisch erscheinen
lassen. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang instrumentalisierte
oder konstruierte Massaker an der Zivilbevölkerung. Für
die Rechtfertigung des Kosovo-Kriegs wurde im Januar 1999
das „Racak-Massaker“ inszeniert . Die Verantwortung
für das im Mai 2012 begangene Massaker im syrischen Hula
konnte zwar dem Regime nicht nachgewiesen werden, zumal AnhängerInnen
des Assad-Regimes massakriert wurden . Dennoch war der Vorfall
Anlass für die westliche Staaten, die diplomatischen
Beziehungen zu Damaskus abzubrechen. Ein fingierter C-Waffen-Einsatz,
der dem Assad-Regime angelastet werden könnte, wäre
geeignet, der gewünschten NATO-Luftwaffenunterstützung
sowie der offiziellen Lieferung moderner Luftabwehrwaffen
an die Aufständischen näher zu kommen. Aber hier
gilt umgekehrt, dass das zweifellos vorhandene Motiv nicht
automatisch den Beweis bedeutet, dass es sich so zugetragen
hat.
Immerhin hat sich die deutsche Bundesregierung bisher nicht
über die rote Linie ziehen lassen. Außenminister
Westerwelle nimmt die „Hinweise auf den Einsatz chemischer
Substanzen in Syrien ... sehr ernst“ und will „den
Informationsaustausch über die Faktenlage intensiv fortsetzen“.
Er erklärte: „Wir drängen auf eine Beratung
über die neu vorgetragenen Berichte im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen, mit dem Ziel, dass es zu einer gemeinsamen
Position des Sicherheitsrates kommt.“ Darin steckt der
dezente Hinweis, dass aus deutscher Sicht ohne UN-Beschluss
die rote Linie nicht für überschritten erklärt
werden kann. Angesichts der fehlenden Belege dürfte die
russische Regierung sich kaum der Position der westlichen
Veto-Mächte anschließen. Der Sicherheitsrat bliebe
also nach westlicher Lesart „blockiert“.
Ausländische Unterstützung Assads durch
Hisbollah und Iran
Zeitlich parallel zur „Entdeckung“ der Chemiewaffeneinsätze
hat sich offenbar die Lage auf dem syrischen Schlachtfeld
verändert: Die Aufständischen haben die Kontrolle
über einige Gebiete eingebüßt. Insbesondere
ist der Verkehrsknotenpunkt al Quasair vom Assad-Regime zurückerobert
worden. Dies wird auf ein Eingreifen der libanesischen Hisbollah-Milizen
auf Seiten Assads zurückgeführt. Laut Assad handelt
es sich „um individuelle Kämpfer“, die er
auf einige hundert beziffert . Die „Deutsche Welle“
spricht von 1.700 , die „Süddeutsche Zeitung“
von 2.000 . Die „Welt“ bietet mehr: »„Es
sind 4000 Mann“, behauptete Louay al-Mokdad, einer der
Sprecher der Freien Syrischen Armee (FSA).« Der Pokal
für die höchste Zahl geht jedoch an die „Zeit“
bzw. den französischen Außenminister. Nach seinen
Angaben „wird die syrische Armee derzeit von bis zu
4.000 Milizionären unterstützt. Laut Laurent Fabius
reichen die Schätzungen aber bis zu 10.000 Kämpfern,
einem Vertreter der Freien Syrischen Armee zufolge sollen
allein mehr als 7.000 von ihnen an der Offensive gegen die
strategisch wichtige Grenzstadt Kusair beteiligt gewesen sein.“
Auf der Juni-Konferenz der „Freunde Syriens“ echauffierte
sich Fabius dergestalt: „Wir lehnen die Internationalisierung
des (Syrien-)Konflikts kategorisch ab. In dem von uns eben
verabschiedeten Schlussdokument fordern wir, dass die Iraner
und die Hisbollah ihre Einmischung in diesen Konflikt unverzüglich
einstellen“
Militärisch wichtiger als die Beteiligung der Hisbollah-Kämpfer
ist sicher die Einmischung des Irans. Diese „läuft
auf mehreren Ebenen, wie der neuste Bericht des renommierten
Institute for the Study of War (ISW) deutlich macht. Umfangreiche
Waffenlieferungen der islamischen Republik, die überwiegend
durch den irakischen Luftraum eingeflogen werden, sind nur
ein Teil eines umfassenden iranischen Kriegshilfe-Pakets...
Irans al-Kuds-Spezialeinheiten, sowie Sicherheitsdienste der
regulären iranischen Landstreitkräfte beraten und
trainieren Assads Truppen im Kampf gegen die Rebellen. Die
Beteiligung reicht bis in die obersten Führungsschichten
des Militärs. Gewissheit, dass hohe iranische Offiziere
in Syrien im Einsatz sind, gab es im Februar. Al-Kuds-Brigadegeneral
Hassan Shateri wurde damals am Rande von Damaskus getötet.“
Der allerwichtigste Verbündete des Assad-Regimes bleibt
selbstverständlich Russland, das weiterhin ganz offen
und offiziell Waffen nach Syrien liefert. Schließlich
sei das legal. Diese Rechtsauffassung wird übrigens auch
von zwei Hochschullehrern in die FAZ vom 28.6.2013 vertreten.
Die Überschrift ihres Beitrags lautet: „Nur an
das Assad-Regime dürfen Waffen geliefert werden“.
Ausländische Unterstützung für die
Rebellen
Die Internationalisierung durch die „Freunde Syriens“
ist natürlich eine ganz andere Sache. Es ist nicht überliefert,
dass Fabius sich auch von den nicht-syrischen Kämpfern
auf Seiten der Aufständischen distanziert hat. Diese
haben offensichtlich andere Größenordnungen. UN-Vermittler
Brahimi bezifferte die Zahl der ausländischen Kämpfer
auf Seiten der Aufständischen am 23.4.2013 auf 30.000
bis 40.000 (!). Da auch aus westlichen Ländern Kämpfer
nach Syrien aufbrechen, warnt inzwischen sogar der deutsche
Innenminister vor solchem „Dschihad-Tourismus“:
„Wir gehen davon aus, dass dort mindestens fünfzig
Personen aus Deutschland kämpfen. Andere europäische
Länder haben vergleichbare, teilweise noch höhere
Zahlen... Diese Leute gehen mit hoher Entschlossenheit nach
Syrien und lernen dort ein tödliches Handwerk, mit dem
sie ihren Hass in die Tat umsetzen können – tickende
Zeitbomben also, wenn sie nach Europa zurückkehren.“
Aus der gesamten EU sollen „bis zu 500 radikale Islamisten...
sich den Kämpfern gegen Assad angeschlossen haben.“
In Saudi-Arabien wird das Problem übrigens so angegangen:
„Wer sich daran (am Kampf) beteiligt, wird nach seiner
Rückkehr vor Gericht gestellt, weil er sich dem Befehl
des Königs widersetzt hat.“ So der ehemalige saudiarabische
Geheimdienstchef Prinz Turki Bin Faisal. Es ist auch kein
Geheimnis, dass sich kriegserfahrene Kämpfer aus dem
Irak, Libyen und Tschetschenien auf dem syrischen Schlachtfeld
tummeln. Offenbar haben manche dieser Kämpfergruppen
auch direkt Waffen aus den USA erhalten, z.B. wurde vom belgischen
Radiosender Premiere am 22.Mai 2013 über entsprechende
Lieferungen an „syrische“ Oppositionskämpfer
aus bzw. über Bengasi berichtet.
„Nichts sei jedoch schlimmer als das Nichtstun der
vergangenen beiden Jahre.“ So der republikanische US-Senator
McCain mit Blick auf den Syrienkrieg. „An die 100 000
Menschen sind bereits ums Leben gekommen. Da kann man nicht
mehr zuschauen.“ So variiert der stellvertretende Chefredakteur
der „Bild“, Blome, den Gedanken und meint, „dass
man jetzt etwas tun muss.“ Auch die taz-Redakteurin
Silke Mertins beklagt: „Die Zurückhaltung hat bisher
nur dem Assad-Regime genützt. Es ist eine Illusion, zu
glauben, dass man sich nicht schuldig macht, wenn man nichts
tut.“
Die „Untätigkeit des Westens“ bestand bisher
darin, das Assad-Regime international zu isolieren, die diplomatischen
Beziehungen abzubrechen, umfassende Wirtschaftssanktionen
zu verhängen, die Aufständischen mit geheimdienstlichen
Informationen und Waffen zu versorgen, sie auszubilden, eine
Gegenregierung aufzubauen und in vielem mehr. Insofern scheinen
sich McCain, Blome und Mertins in einem Paralleluniversum
aufzuhalten. Man kann die westlichen Führer Obama, Cameron
und Hollande als „Zauderer“ beschimpfen, wie es
Dominic Johnson in der taz vom 18.6.2013 macht, weil ihm die
Taten nicht weit genug gehen. Aber der Vorwurf des Nichtstuns
ist wirklich fehl am Platz bzw. reine Propaganda.
Zur Koordinierung der internationalen Einmischung des Westens
wurden im Februar 2012 auf Initiative Frankreichs die „Freunde
Syriens“ gegründet. Im Dezember 2012 gelang es,
114 Staatenvertreter zur Konferenz in Marrakesch zu mobilisieren.
Die Leitungsgruppe, die sich häufiger trifft, besteht
aus den USA, Britannien, Deutschland, Frankreich, Italien,
Ägypten, der Türkei, Saudi-Arabien, Jordanien, den
Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar.
Natürlich sind die illegalen westlichen Waffenlieferungen
an die Aufständischen der breiten Öffentlichkeit
nicht so bekannt, aber es gibt sie: „Die Nachrichtenagentur
Reuters berichtete, dass Saudi-Arabien den Obersten Militärrat
der Freien Syrischen Armee (FSA) bereits seit zwei Monaten
mit Flugabwehrraketen ausstatte. Die Waffen stammten aus französischer
und belgischer Produktion, die Regierung in Paris habe den
Transport finanziert.“ Das berichtet die FAZ am 18.6.2013
auf Seite 1!
Auch die US-Unterstützung spielt sich eher im Verborgenen
ab. Dennoch weiß jeder, der es wissen will, darüber
Bescheid, z.B. wenn er am 25.3.2013 die FAZ gelesen hat:
„Mitarbeiter der CIA versorgen „ausgewählte
syrische Rebellengruppen mit Lagebildern und über mögliche
Ziele von Angriffen. Außerdem bilden sie Aufständische
in Lagern in Jordanien aus, etwa im Umgang mit Boden-Luft-Raketen
zum Einsatz gegen Assads Luftwaffe... Schließlich unterstützt
die CIA verbündete Staaten der Region wie die Türkei,
Saudi-Arabien und Qatar bei der Beschaffung von Waffen für
die Rebellen sowie bei deren Lieferung über den Landweg
von der Türkei in die befreiten Gebiete im Norden Syriens.
Seit November ist es zu einer deutlichen Zunahme der Frachtflüge
mit Waffen - etwa aus Kroatien - zu einem Flughafen nahe Ankara
gekommen, von wo die Ladung unter Aufsicht der türkischen
Behörden mit Lastwagen weiter transportiert wird. Das
Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt,
dass in den vergangenen Wochen mindestens 3500 Tonnen Waffen,
Munition und Ausrüstung an ausgewählte syrische
Rebellengruppen geliefert wurden.“
Konkret sind in Jordanien seit Mai 2012 1.000 US-Militärausbilder
tätig, um syrische Aufständische zu trainieren.
Diese Information gab „US-Generalstabschef Martin Dempsey
in einem Hintergrundgespräch mit Pressevertretern“
Anfang Mai 2013 (Quelle ist die Los Angeles Times). Der Einsatz
begann mit einem Militärmanöver, an dem 12.000 Soldaten
aus 19 Ländern teilnahmen. Die US-Verbände blieben
praktischerweise gleich im Land.
Im Juni 2013 – nach „Entdeckung“ der C-Waffen-Einsätze
- wurde die Zahl nach Angaben der „tagesschau“
auf 2.000 verdoppelt. Laut der Zeitung „Welt“
handelt es sich sogar um eine Verdreifachung: „Nach
Angaben eines jordanischen Militärs hat Washington, um
das Ausbildungsprogramm für die FSA auszuweiten, in der
vergangenen Woche rund 2000 zusätzliche Berater und Ausbilder
nach Jordanien geschickt.“
Ein Sprecher des Weißen Hauses bestätigt: „Wir
haben unsere Unterstützung verstärkt." Ziel
der Maßnahme soll sein, dass die Rebellen „aus
eigener Kraft eine Flugverbotszone und sogenannte sichere
Pufferzonen entlang der jordanisch-syrischen Grenze verteidigen
können.“ Der Aufstockung ging wiederum ein Militärmanöver
voraus, so dass die US-Soldaten in bewährter Manier ihren
Aufenthalt verlängerten. 2013 hatten sie F-16-Bomber
und Patriot-Raketen mitgeführt, die für die beabsichtigte
Einrichtung der Flugverbotszone eingesetzt werden könnten.
Natürlich alles auf „jordanischen Wunsch hin“
.
Bisher ist die finanzielle Hauptinvestition von Qatar getätigt
worden: Laut Financial Times vom 17.5.2013 soll das Land „seit
2011 an die Rebellen in Syrien Geschätzte drei Milliarden
Dollar... bezahlt haben“. Es handelt es sich gewissermaßen
um ein „Rent-a-revolution“-Projekt mit folgenden
Tarifen: Gezahlt werden „Unterstützerpakete von
50.000 Dollar im Jahr für einen Überläufer
und dessen Familie. In der Provinz Aleppo sollen Kämpfer
auf Seiten der Rebellen im September eine Einmalzahlung von
150 Dollar erhalten haben.“ Hauptwaffenlieferant soll
Saudi-Arabien sein. Ein weiterer Lieferant ist Libyen, wie
der freitag meldet: „Für die Aufrüstung islamistischer
Kämpfer springt zusehends Libyen in die Bresche. Daran
seien nicht nur Privatleute beteiligt, sondern auch offizielle
Stellen in Tripolis, berichten UN-Beobachter.“
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die
Waffenlieferungen an die Rebellen gegen geltendes Völkerrecht
vorstoßen. In der bereits oben angesprochenen rechtlichen
Expertise für die FAZ kommen Thilo Marauhn und Sven Simon
von der Giessener Justus-Liebig-Universität zu dem Schluss:
„Die Kompetenz für die Zustimmung zu Waffenlieferungen
verbleibt also – solange der Sicherheitsrat nichts anderes
entscheidet – bei der syrischen Regierung, auch wenn
man dieser aufgrund ihres gewaltsamen Vorgehens gegen die
Aufständischen die Legitimität dazu absprechen möchte.“.
Sie warnen: „Wenn sich Staaten entscheiden, den Aufständischen
Waffen zu liefern, stellen sie das auf Deeskalation und Gewaltvermeidung
angelegte UN-Friedenssicherungssystem zur Disposition.“
Da die Rebellen trotz all dieser Unterstützung bisher
den Bürgerkrieg nicht gewinnen konnten, in den letzten
Monaten sogar in die Defensive geraten sind, sollen die Waffenlieferungen
nun kräftig ausgeweitet werden. Das haben die „Freunde
Syriens“ am 22.6.2013 in Qatar zum Ausdruck gebracht:
»Den Rebellen solle „dringend alles notwendige
Material und Ausrüstung geliefert werden“, beschloss
die Gruppe.« Die Einzelheiten finden sich offenbar in
„geheimen Beschlüssen“, deren Existenz der
qatarische Regierungschef immerhin ausplauderte. Zwei Staaten
tragen den Kurs offenbar nicht mit, vermutlich Italien und
Deutschland, dessen Außenminister Westerwelle deutschen
Waffenlieferungen bei verschiedenen Gelegenheiten eine Absage
erteilt hat.
In der EU hatten Britannien und Frankreich bereits im Mai
2013 dafür gesorgt, dass ihre Waffenlieferungen ab sofort
nicht mehr gegen EU-Beschlüsse verstoßen. Auch
der Auswärtige Ausschuss des US-Senats hatte Ende Mai
mit 15:3 Stimmen für Waffenlieferungen an die Rebellen
votiert. Eine der Gegenstimmen kam vom republikanischen Senator
Rand Paul, der seine Kollegen scharf angriff: »‚Sie
finanzieren heute die Verbündeten von Al-Kaida. Das ist
eine Ironie, die sie nicht ignorieren können.‘«
Ähnlich lässt sich der stellvertretende Bundesvorsitzende
der CDU, Armin Laschet, ein: „Geradezu bizarr ist eine
europäische Außenpolitik, die die Rebellen in Syrien
als ‚Freiheitskämpfer’ glorifiziert und die
gleichen Kämpfer mit den gleichen Methoden und Zielen...
in Mali als Terroristen bekämpft... Der ‚Arabische
Frühling’ droht für die Christen und andere
Minderheiten schon jetzt zu einem ‚bitteren Winter’
zu werden. Waffenlieferungen an die Rebellen beschleunigen
die menschliche Katastrophe.“
Paul und Laschet weisen damit auf das schon länger real
existierende Dilemma des Westens hin: Zwar erhalten die säkularen
Brigaden der Rebellen die Waffen in erster Instanz, aber diese
reichen die Waffen natürlich auch an ihre islamistischen
Verbündeten weiter: „Wie weitere neue Internetvideos
belegen, ist nicht nur Ahrar al-Sham im Besitz dieses Kriegsgeräts,
sondern auch die von den USA als Terroristengruppe eingestufte
Al-Nusra-Front.“ Letztere verfügt nach Angaben
der WELT über 6.000 bis 8.000 Kämpfer!
Von US-Befürwortern der Waffenlieferungen ist zwar der
schöne Begriff „zertifizierte Rebellen“ („vetted
rebels“) erfunden worden. Aber: »Inwieweit es
solche „zertifizierten Aufständischen“ aber
überhaupt gibt, ist mehr als fraglich. So berichtete
die New York Times (28.04.2013): „In den von Rebellen
kontrollierten Teilen Syriens existieren keinerlei säkulare
kämpfende Truppen, die der Rede wert wären.“«
Immerhin zeigt die Führung der Freien Syrischen Armee
Verständnis: „FSA-Sprecher Mukdad betonte, seine
Armee werde dafür sorgen, dass die Waffen nach dem Ende
des Konflikts wieder eingesammelt würden.“ Der
französische Präsident Hollande war schon im März
2013 ganz beruhigt und gab zu Protokoll, „die Rebellen
hätten ihm versichert, dass die Waffen nicht in falsche
Hände kämen.“
Ghassan Hitto, „Übergangspräsident der syrischen
Nationalen Koalition“, spielt die Problematik herunter
und macht aus der Nähe zu Al-Nusra kein Hehl: „Nach
allem, was ich aus Syrien höre, werden der Einfluss und
die Präsenz dieser Gruppen übertrieben dargestellt.
Darüber hinaus teilen sie mit uns ein Ziel: Sie wollen
das Regime Baschar al Assads stürzen. Es wäre falsch,
bewaffnet gegen sie vorzugehen oder in Konkurrenz zu ihnen
zu treten. Konfrontation ist nicht der Weg, wir können
unsere Regierung nur schrittweise als Alternative etablieren.
Schließlich haben die Menschen sich diesen Gruppen aus
purer Not angeschlossen...“
Auch wenn die „Freunde Syriens“ die Entscheidung
auf dem Schlachtfeld suchen, so haben sie offensichtlich massive
politische Probleme: Die Rebellen verlieren Rückhalt
in der Bevölkerung. Ein Indiz dafür ist, dass es
in keinem nennenswerten Ausmaß mehr Überläufer
zur Freien Syrischen Armee gibt. Ein Beleg ist eine NATO-eigene
Umfrage, nach der das Assad-Regime von 70% der Bevölkerung
unterstützt wird! »Weitere 20 Prozent verhielten
sich neutral und lediglich 10 Prozent unterstützten die
Aufständischen. „Die Leute sind den Krieg leid
und hassen die Jihadisten mehr als Assad. Assad gewinnt den
Krieg vor allem deshalb, weil die Menschen mit ihm gegen die
Rebellen kooperieren“, wird eine westliche Quelle zitiert,
die mit den Umfrageergebnissen vertraut sei. « Bei den
Rebellen sind die islamistischen Gruppen offenbar inzwischen
die stärkste Fraktion: „Sechzehn Monate nach ihre
Gründung im Januar 2012 hat sich die sunnitische Al-Nusra-Front
zur stärksten von Hunderten Kriegesparteien entwickelt...
Die Befehle des im vergangenen Dezember in Istanbul gebildeten
Hohen Militärrats der Freien Syrischen Armee (FSA) ignorieren
die Einheiten.“ Diese islamistische Einheit verfügt
„über panzerbrechende Waffen und Luftabwehrraketen...
Von Aleppo im Nordwesten... bis Deir al Zor an der Grenze
zum Irak reicht der Landstrich, der... unter Kontrolle der
Al-Nusra-Front steht... Saudi-Arabien und Qatar sind die wichtigsten
Unterstützer der islamistischen Milzen.“
In den islamistisch kontrollierten Gebieten, auch in der Großstadt
Aleppo, werden Hilfsgüter verteilt, aber auch die Scharia
ist eingeführt worden . Die Konsequenzen können
auf diversen Videos auf Youtube besichtigt werden. Christen
werden vor laufender Kamera enthauptet, katholische Geistliche
erschossen . In einer taz-Reportage fragt ein Regierungs-Soldat,
der in einem Gotteshaus Stellung bezogen hat: »Warum
unterstu¨tzt Europa Terroristen in Syrien, die Christen
ermorden und Kirchen zersto¨ren?«
Besonders unappetitlich ist ein Kannibalen-Video. Es zeigt
den »Kommandeur der "Unabhängigen Omar al-Faruk-Brigade"
Abu Sakkar... Er schneidet einem toten Soldaten der Assad-Armee
die Brust auf und führt ein Organ an den Mund, als wolle
er es essen. "Herz und Leber" der Soldaten Baschars
werde man verschlingen, droht er, und hetzt: "Erschlagt
die Alawiten und esst ihre Herzen!"« Natürlich
„distanzierten sich die Freie Syrische Armee, der lose
Dachverband der Rebelleneinheiten, und der oppositionelle
Militärrat. Abu Sakkar müsse "tot oder lebendig"
festgesetzt werden, verlangten sie...“ Der russische
Präsident Putin leitete trotzdem aus dem Video ab, die
Gegner Assads „seien Kannibalen und dürften nicht
mit Waffen beliefert werden“ .
Assad schlägt in die gleiche Kerbe: „... die Europäer
liefern Waffen und wissen, dass sie diese an Terroristen liefern.“
In der Folge werde „der Hinterhof Europas terroristisch“.
Alternativ schlägt er zwar nicht gleich vor, dass die
EU-Staaten Waffen an sein Regime liefern sollten, aber sein
Statement ist: „Für Europa gibt es zu einer Kooperation
mit dem syrischen Staat keine Alternative, auch wenn das Europa
nicht gefällt.“
Einer der wenigen profilierten Kritiker der westlichen Syrienpolitik,
der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer,
kommt zu dem Befund: „Ich habe Al Qaida in Afghanistan,
Pakistan und im Irak erlebt. Gegenüber Al Nusra waren
das Zwergenorganisationen. Zum Riesen wurde Al Qaida in Syrien.
Mit jedem Kriegstag wird Al Qaida mächtiger, attraktiver,
ja sogar respektierter. Die Sender Al Dschazira und Al Arabija
berichten täglich von ihren ‚Heldentaten’.“
Vor diesem Hintergrund erscheint die westliche Syrienpolitik
irre und von allen guten Geistern verlassen. Wenn die erwähnte
NATO-Umfrage einigermaßen den Realitäten entspricht,
führen Rebellen einen Krieg gegen die Mehrheit des syrischen
Volkes. Und der Westen unterstützt sie dabei.
Keine Alternative zu Genfer Friedensverhandlungen
Die Spur Hoffnung, dass die USA mit ihrem neuen Außenminister
Kerry und Russland die beiden Konfliktparteien im Rahmen einer
Genfer Friedenskonferenz zu einer Verhandlungslösung
bringen könnten, hat sich inzwischen verflüchtigt.
Nicht einmal ein Termin ist in Sicht. Wobei nicht alle diese
Hoffnung bzw. Strategie teilen, stattdessen mehr kriegerisches
Engagement fordern. Dominic Johnson von der taz behauptet
allen Ernstes: „Erfahrungsgema¨ß kostet eine
solche Strategie des endlosen Palavers viel mehr Menschenleben
als jede andere.“
Andererseits gibt es keine sinnvolle friedenspolitische Alternative
zur Bildung aus einer Übergangsregierung, in der beide
Konfliktparteien vertreten sind und die die neue politische
Ordnung Syriens herbeiführt. Erklärt sich nur eine
Seite zur „Übergangsregierung“ bzw. hält
sich für die einzig legitime Regierung, geht der Bürgerkrieg
unvermindert weiter. Rebellenseitig formuliert der „Übergangsministerpräsident“
die entsprechende Position so: „Die Strukturen des Regimes
sind nicht legitim, die einzig legitime Vertretung des syrischen
Volkes ist die Koalition der revolutionären und oppositionellen
Kräfte. Das sieht auch die internationale Gemeinschaft
(gemeint sind: die „Freunde Syriens“, UC) so,
die die Nationale Koalition im Dezember anerkannt hat –
und angekündigt hat, die von ihr ernannte Regierung zu
unterstützen.“ Gefragt, ob er, Hitto, bereit sei,
in eine Übergangsregierung einzutreten, „der auch
Vertreter des Regimes angehören“, antwortet er:
„Wäre ich bereit, einer Regierung anzugehören,
in der Kriminelle vertreten sind und Individuen, die Blut
an den Händen haben und bekannt sind für Korruption?
Natürlich nicht.“
Die Aufgabe der ausländischen Mächte besteht darin,
ihre jeweilige Klientel an den Verhandlungstisch zu holen.
Russland ist dabei für das Assad-Regime und seine Verbündeten
Hisbollah und Iran zuständig und war dabei zunächst
erfolgreich. Denn am 25.2.2013 erklärte sich der syrische
Außenminister das erste Mal bereit, auch mit bewaffneten
Oppositionellen zu verhandeln , also lange bevor sich die
Lage auf dem Schlachtfeld im Mai zugunsten des Regimes verschob.
Im Juni erläuterte Assad jedoch eine veränderte
Position. Gefragt: „Mit wem sind Sie bereit, sich an
einen Tisch zu setzen?“ antwortet er: „Mit jeder
Opposition, die keine Waffen trägt, nicht den Terrorismus
unterstützt und ein politisches Programm hat.“
Er glaubt, dass er praktisch mit den Herren USA, Britannien
und Frankreich verhandeln wird sowie mit „deren Werkzeugen
Türkei, Qatar und Saudi-Arabien“. Verhandlungen
mit den Sklaven bzw. Angestellten, also den Kräften,
„die sich Opposition im Ausland nennen“ lehnt
er ab.
Ähnlich starrköpfig zeigt sich die Rebellenseite.
„Selbst die Ansprechpartner des Westens, deren Einfluss
auf die Kämpfer der Rebellen umstritten ist, sind schwer
an einen Tisch zu bringen: Die libanesische Zeitung Al-Nahar
berichtet von ermüdenden Verhandlungen zwischen der in
Istanbul ansässigen Nationalen Syrischen Koalition und
dem Nationalen Koordinierungskomitee für demokratischen
Wandel.“
Vielfach wurde von den Rebellenorganisationen der Rücktritt
Assads zur Vorbedingung gemacht. Auch der britische Außenminister
Hague belastet mögliche Verhandlungen mit Wunschvorstellungen
der zu erzielenden Ergebnisse. Auf die Frage: „Kann
Assad Teil einer Übergangsregierung sein?“ antwortet
er: „Nein, denn dafür müssten beide Konfliktparteien
zustimmen.“ Demnach gibt es also zwei Konfliktparteien,
das Assad-Regime und die Assad-Gegner. Und deswegen ist die
eigentliche Herausforderung für den Westen als Schutzpatron
der Gegner die Repräsentanz der militärischen Kräfte
in Syrien selbst sicherzustellen. Verständlicherweise
beharrt Moskau darauf, „dass... vor allem Vertreter
der bewaffneten Rebellen teilnehmen. Am Tisch könnte
der dem Westen zugeneigte General Idris sitzen; undenkbar
ist indes eine Teilnahme der Al-Nusra-Front.“ Aber wie
kann ein Waffenstillstand ohne die islamistischen Gruppierungen,
nicht zuletzt die Al-Nusra, funktionieren? Auf ein entsprechendes
westliches Konzept, wie man seine ungeliebten Bündnispartner
einzubinden gedenkt, darf man gespannt sein. Aus dieser Verantwortung
hat sich der Westen durch die Erklärung von Al-Nusra
zur Terrororganisation nicht heraus stehlen können. Eine
zuletzt kolportierte Variante besteht darin, „Kämpfer
der Nusra-Front und anderer islamistischer Kampfbrigaden zu
überzeugen, sich der FSA anzuschließen“.
Aber sehen wir einmal von diesem massiven Verhandlungshindernis
ab. Auch die ‚gemäßigten’ Rebellen
haben inzwischen weitere Forderungen erhoben. Der Präsident
der Syrischen Nationalen Koalition, George Sabra, erklärte:
„Die Nationale Koalition wird weder an einer internationalen
Konferenz teilnehmen noch andere Bemühungen unterstützen,
so lange die Milizen des Irans und der Hisbollah ihre Invasion
Syriens fortsetzen“ . Gleichzeitig würden die bis
zu 30.000 bis 40.000 islamistischen Kämpfer auf Rebellenseite
im Land bleiben?
FSA-Chef Idris schrieb in einem Brief an Kerry: „Für
substanzielle Verhandlungen brauchen wir eine ausgeglichene,
militärische Lage... Ohne Balance wird das Regime Bedingungen
diktieren wollen." Diese Auffassung haben sich inzwischen
tatsächlich die „Freunde Syriens“ zueigen
gemacht: „Die Außenminister von elf westlichen
und arabischen Staaten bekannten sich dazu, vor der geplanten
Friedenskonferenz in Genf die Position der Rebellen deutlich
zu stärken.“ Es ist die alte Al Capone-Logik. Dieser
verbreitete als Lebensweisheit: ‚Man kommt weiter mit
einem freundlichen Wort und einer Kanone als nur mit einem
freundlichen Wort.’
US-Interessenlage
Aber zielt die westliche Syrien-Politik überhaupt auf
ein Verhandlungsergebnis in Genf? Gehen wir aber einmal davon
aus, dass die westliche, insbesondere die US-amerikanische
Syrien-Politik genauso wenig wie das Assad-Regime „irre“
ist, sondern durchaus einem rationalen Kalkül folgt.
Die generelle Interessenlage Washingtons fasst der republikanischen
Senator McCain so zusammen: „Der Sturz des Assad-Regimes
wu¨rde die Lebenslinie der Hisbollah in den Iran durchtrennen,
eine langja¨hrige Bedrohung Israels beseitigen, die Souvera¨nita¨t
und Unabha¨ngigkeit des Libanon sta¨rken und dem iranischen
Regime eine strategische Niederlage zufu¨gen. Er wa¨re
ein geostrategischer Erfolg ersten Ranges. Mehr als all die
u¨berzeugenden moralischen und humanita¨ren Gru¨nde
liegt hier die Ursache, weshalb Assad nicht erlaubt werden
kann, erfolgreich zu sein und an der Macht zu bleiben: Wir
haben ein klares nationales Sicherheitsinteresse an seiner
Niederlage. Und das allein sollte uns dazu ermuntern, beachtliche
Risiken einzugehen, um dieses Ziel erreichen zu ko¨nnen.“
Ein beachtliches Risiko wäre natürlich eine Militärintervention,
z.B. im Gewand einer „Flugverbotszone“, die McCain
mittels Patriot-Raketen schützen möchte . Die Beschuldigung,
das Assad-Regime habe C-Waffen eingesetzt, deutet in Richtung
entsprechender Luftwaffenangriffe nach dem Vorbild des Libyen-Krieges.
Die Obama-Regierung teilt die Gründe für den Regime-Change
in Damaskus, aber ist bis Anfang Juli 2013 nicht bereit, diese
von McCain geforderte riskante Maßnahme umzusetzen.
Damit müssten die Aufständischen weiterhin ohne
Luftwaffenunterstützung zurechtkommen. Der Dissens zwischen
Obama und McCain besteht darin, dass Obama bei Syrien wieder
eine „Leading-from-behind“-Strategie verfolgt,
also Bündnispartnern die erste Reihe überlässt.
McCain hingegen verlangt in einem Interview mit Fox News mehr:
„Der Massenmord geht weiter, und die Situation erfordert
eine amerikanische Führung.“
Es wird den Regierenden in Washington klar sein, dass allein
die massive Aufrüstung und Ausbildung der Aufständischen
den Regime-Change nicht herbeiführt. Absehbarer Effekt
ist jedoch, dass Syrien (sowie das Nachbarland Libanon) dauerhaft
destabilisiert werden. Jürgen Wagner schlussfolgert deswegen:
„Da die gegenwärtige US-Politik lediglich einen
eskalierenden und fortdauernden Bürgerkrieg fördert
und dringend notwendige Friedensverhandlungen torpediert,
liegt die Vermutung nahe, dass genau hierin das Ziel liegt.“
Der entsprechende „Abnutzungsbürgerkrieg“
wäre ein Instrument, um die mit Assad verbündeten
Kräfte, insbesondere den Iran und die Hisbollah, zu schwächen
und zu binden. Solange diese in Syrien kämpfen, sind
sie nicht in der Lage ihre militärischen Potentiale gegen
Israel zu wenden. Der US-amerikanische Think Tank Stratfor
analysierte die Gemengelage am 14.06.2013 so: „Das strategische
Interesse der USA besteht darin, nicht tiefer in einer weiteren
uralten sektiererischen Blutfehde zu versinken, die die US-Fähigkeit
ihre Position in anderen Ecken der Welt zu halten, beeinträchtigt.
Der Iran kann aufgrund der jüngsten Erfolge der Loyalisten
in Syrien Zuversicht an den Tag legen, aber hierbei handelt
es sich nicht um einen Konflikt, der bald enden wird. Er wird
deshalb immer größere Opfer von Syriens Verbündeten
fordern, um zu verhindern, dass die Alawiten an Boden gegenüber
der sunnitischen Mehrheit einbüßen. Aus Sicht der
USA ist das keine schlechte Sache.“
Das wäre ein ähnliches Kalkül wie in den 1980er
Jahren, als der Iran vom Irak angegriffen und in einen jahrelangen
Abnutzungskrieg verwickelt wurde. Dabei wurde der Irak von
den USA unterstützt. Wie erwähnt hatten die drei
westlichen UN-Veto-Mächte damals auch nichts dagegen
einzuwenden, dass der Irak in diesem Abnutzungskrieg auch
C-Waffen einsetzte.
Die deutsche Rolle
Wie ist Deutschland in den syrischen Bürgerkrieg verstrickt?
Hier ist die Lage widersprüchlich. Einerseits hat die
Bundesregierung seit 2011 die westliche Anti-Assad-Politik
voll mitgetragen und ist Mitglied der Führungsgruppe
der „Freunde Syriens“. Es wurden diverse deutsche
Spionagedienstleistungen für die Rebellen erbracht und
die staatlich finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) fungierte als Gastgeber für die Oppositionsplanungen
für die Zeit nach dem Sturz Assads, das so genannte „The
Day After Project“. Bei den „Freunden Syriens“
hat Deutschland den Vorsitz beim „Korb“ ‚Wirtschaftspolitik
und –reformen’ . Nicht zuletzt sind auch deutsche
Patriot-Raketen in der Türkei stationiert worden.
Auch ist zu vermuten, dass deutsche Waffentechnik und Waffen
den Weg nach Syrien finden. Den größten Teil des
Waffennachschubs erhalten die Rebellen bekanntlich über
Qatar und Saudi-Arabien. Diese wiederum kaufen fleißig
bei den westlichen Waffenschmieden ein, auch in Deutschland.
Gerade Saudi-Arabien ist dafür bekannt, mit der „Endverbleibsgarantie“
recht locker umzugehen. Jürgen Grässlin berichtet
in seinem aktuellen Buch „Schwarzbuch Waffenhandel“
über das Procedere. Er zitiert Michael Lehmann, den ehemaligen
Heckler & Koch-Firmenbeauftragter für die arabische
Region: „»Von Saudi-Arabien her weiß ich,
dass man nicht gewillt ist, eine Endverbleibsklausel in Arabisch
zu unterzeichnen. In Englisch wird das akzeptiert.«
Lehmanns Erklärung war ebenso schlüssig wie verblüffend:
Das englischsprachige Dokument ist »in Saudi-Arabien
rechtlich nicht gültig«.“ Aus der Antwort
der Bundesregierung auf eine Anfrage von Jan van Aken (DIE
LINKE) geht hervor, dass zufälligerweise die Munitionsausfuhren
an Arabische Länder explosionsartig gestiegen sind: „Von
398.000 im Jahr 2011 auf 1,64 Millionen Euro im Jahr 2012.“
In Saudi-Arabien in Lizenz gefertigte deutsche Gewehre dürften
auch ihren Weg in den Bürgerkrieg gefunden haben.
Andererseits hat die Bundesregierung sich auf entsprechenden
internationalen Treffen in 2013 als Gegner von Waffenlieferungen
an die Rebellen positioniert und sich damit vermutlich keine
Freunde in Washington, Paris oder London gemacht. Die Verhandlungslösung
betreffend ist Westerwelles Position so: „Die im letzten
Jahr vereinbarte Genfer Erklärung sieht auf dem Weg zu
einer politischen Lösung eine Übergangsregierung
mit vollen exekutiven Vollmachten unter Beteiligung der Opposition
vor. Darauf sollten wir weiter mit Nachdruck hinarbeiten.“
D.h.: Westerwelle sieht für die Aufständischen keine
Führungsrolle in der Übergangsregierung vor. Der
„Übergangspräsident“ Hitto wird das
nicht goutieren.
Eine konsequente Haltung wäre natürlich, das Engagement
bei den „Freunden Syriens“ zu beenden. Das würde
Deutschland in eine neutrale Position versetzen, die Voraussetzung
für eine aktive Vermittlungsrolle wäre. Ein solcher
Schritt wäre mit der Enthaltung im Sicherheitsrat in
Sachen Libyenkrieg vergleichbar. Ob die deutsche Regierung
dafür den Mut aufbringen würde, ist sehr zweifelhaft.
Unschöne Aussichten...
Ein Ende des Blutvergießens in Syrien, das schon jetzt
ca. 100.000 Tote gefordert hat, ist weiterhin nicht in Sicht,
da die lokalen Akteure angestachelt durch ihre internationalen
Unterstützer keinerlei Bereitschaft zeigen, den Krieg
ohne eigenen Sieg zu beenden.
Uli Cremer
Hamburg 8.7.2013
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Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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