09.02.2013
Die GRÜNEN und die Bundeswehr im Jahre
2013
Von Uli Cremer
Vorbemerkung
Im Folgenden soll der spannenden Frage nachgegangen werden,
was der GRÜNE Abschied vom „absoluten Verzicht
auf militärisches Eingreifen“ (so formuliert es
der aktuelle Entwurf für ein GRÜNES Bundestagswahlprogramm
2012) operativ bedeutet. Forderungen und Vorschläge in
dem nämlichen Entwurf, die „zivile Krisenprävention
zu stärken“ sind gut und schön, beantworten
aber nicht die Frage, wie sich die Mehrheit der GRÜNEN
Partei die Bundeswehr als Instrument zum „gewaltsamen
militärischen Eingreifen“ vorstellt. Sowohl der
GRÜNE BDK-Beschluss von 2012 zur Schutzverantwortung
wie auch der gegenwärtige Entwurf für ein Bundestagswahlprogramm
haben nämlich militärpolitisch einen blinden Fleck.
Nirgends wird durchdekliniert und ausgesprochen, wie man sich
die Bundeswehr vorstellt, die die Schutzverantwortung in aller
Welt durchsetzen können bzw. dabei helfen soll. Wie soll
eine solche Armee ausgerichtet sein und welche Waffen (z.B.
auch bewaffnete Drohnen oder nicht?) soll sie haben?
Der Entwurf teilt lapidar mit: „Wir setzten uns dafu¨r
ein, dass Deutschland VN-Missionen nicht nur finanziell, sondern
auch personell sta¨rker unterstu¨tzt. Dazu muss die
Bundeswehr umgebaut werden mit dem Ziel, dass sie ihren stabilisierenden
und schu¨tzenden Aufgaben in internationalen Konflikten
besser gerecht werden kann, dass sie VN-fa¨higer wird.“
(Grammatik angepasst, UC).
Umbau – das hört sich danach an, dass es irgendwo
ein verbindliches alternatives GRÜNES Konzept zu dem
Bundeswehrkonzept der gegenwärtigen Regierung geben würde.
Das würde man gerne einmal kennenlernen.
Bekanntermaßen habe ich selbst als GRÜNES Parteimitglied
in den vergangenen Jahren die Beteiligung Deutschlands an
den verschiedenen internationalen Kriegseinsätzen von
Kosovo bis Afghanistan abgelehnt und mich gegen die Veränderung
der friedenspolitischen Grundpositionen bei den GRÜNEN
gewehrt. Deswegen ist für mich der folgende Satz aus
dem Bundestagswahlprogramm-Entwurf 2013 natürlich, na
sagen wir: eine Provokation:
„Aber Friedenspolitik heißt fu¨r uns heute
nicht mehr den absoluten Verzicht auf milita¨risches Eingreifen.
Es gibt Situationen, in denen gewaltsames milita¨risches
Eingreifen notwendig ist, um Menschen vor schweren Gra¨ueltaten
oder Tod zu schu¨tzen. Zu dieser U¨berzeugung sind
wir Gru¨nen in einem schwierigen und kontroversen Prozess
gelangt.“
Provokation, weil all diejenigen, die „Frieden schaffen
– ohne Waffen“ nicht auf dem Müllhaufen der
Geschichte entsorgt haben und nicht „zu dieser Überzeugung“
gekommen sind, mit dieser Formulierung aus der GRÜNEN
Partei ausgegrenzt werden.
Die Grundfragen
Aber betrachten wir die gegenwärtige Positionierung
zur Bundeswehr einmal systematisch. Beginnen müssen wir
bei der primären Grundfrage, die sich die GRÜNEN
in der Vergangenheit durchaus stellten. Diese lautet: Wie
steht man grundsätzlich zur Armee in Deutschland? Soll
die Bundeswehr auf immer und ewig beibehalten werden oder
ist sie eine Realität, die ähnlich wie die Atomkraftwerke
überwunden werden muss? Beantwortet man die Frage im
zweiten Sinne, muss eine Strategie her, wie die Bundeswehr
– natürlich Schritt für Schritt, und sicher
nicht in einer Legislaturperiode – abgeschafft werden
soll. Es geht gewissermaßen darum, welche Laufzeit man
der Bundeswehr zubilligen will. Alles, was mit der Bundeswehr
geschieht oder geschehen soll, betrachtet man dann durch die
Brille des Endzieles, der Abschaffung der Bundeswehr. Das
war bis in die 90er Jahren hinein die dominierende Position
bei den GRÜNEN. Im Bundestags-Wahlprogramm von 1994 hieß
es: „Wir wissen, dass die Bundeswehr … nicht von
heute auf morgen aufzulösen ist. Ihre Abschaffung ist
ein Prozess der Abrüstung und der Konversion, der politisch
und gesellschaftlich schrittweise durchgesetzt werden muss.“
(S.56)
Programmatisch haben sich die GRÜNEN über die
Jahre bekanntlich mehrheitlich von der skizzierten Position
verabschiedet und ihren Frieden mit der Bundeswehr gemacht,
also die Grundposition verändert hin zu ‚Armee
auf immer und ewig’. (Letzteres schließt auch
ein, dass sie in einer übergeordneten Armee, z.B. einer
EU-Armee , aufgeht. Denn das wäre mit der Abschaffung
der Armee natürlich nicht zu verwechseln.) Von dieser
Perspektive erscheint die Teilnahme an einem Krieg oder die
Zustimmung zu einem Waffenbeschaffungsvorhaben natürlich
in einem völlig anderen Licht als wenn man die Armee
abschaffen will.
Das prinzipielle JA zur Bundeswehr führt nun zu einer
sekundären Grundfrage: Soll die Bundeswehr angriffsfähig
oder nicht-angriffsfähig bzw. angriffsunfähig aufgebaut
sein? Die Beantwortung dieser Frage ist natürlich bei
der Beschaffung von Waffensystemen eminent wichtig.
Nach Auffassung der verschiedenen Bundesregierungen seit 1990
(auch der Rot-Grünen von 1998-2005) soll die Bundeswehr
sowohl zur Landesverteidigung bzw. Bündnisverteidigung
als auch zu Angriffsoperationen befähigt sein (natürlich
nicht autonom sondern im internationalen Team, innerhalb der
NATO und der EU). Die Position „nicht-angriffsfähige
Armee“ wird heutzutage in der Linkspartei vertreten.
Während die GRÜNEN noch in den 90er Jahren den
Aufbau der Angriffskräfte (Bezeichnungen: Expeditionsstreitkräfte,
Krisenreaktionskräfte, Einsatzkräfte) kritisierten,
macht sich zumindest die GRÜNE Bundestagsfraktion bzw.
entsprechende FachpolitikerInnen heute Sorgen darüber,
ob die Soldaten im Einsatz angemessen ausgerüstet und
bewaffnet sind. Oder auch, ob die Bundestagsreform sozialverträglich
und familienfreundlich abläuft. Auch gibt es den Gedanken,
mehr Soldaten für Auslandseinsätze frei zu spielen:
„Zu viele Soldatinnen und Soldaten sind noch auf die
hinfällige Landesverteidigung ausgerichtet, während
zu wenige für die existierenden Auslandseinsätze
zur Verfügung stehen.“ (Papier „Die Bundeswehr
von Morgen – friedensorientiert, demokratisch, effizient“
von Omid Nouripour u.a., Fassung vorliegend auf BAG-Frieden-Sitzung
23.10.2010) Der letzte Halbsatz ist im späteren Fraktionsbeschluss
vom 22.11.2010 „Die Bundeswehr von morgen – friedensorientiert,
demokratisch, effizient, im Dienste der Vereinten Nationen“
allerdings entsorgt worden.
Die Forderung nach Auflösung der Bundeswehr-Angriffsverbände
schmückt GRÜNE Programme inzwischen nicht mehr.
Natürlich soll nicht unterschlagen werden, dass spezifische
Begründungen für die Notwendigkeit der Einsätze,
also auch der Einsatztruppen angegeben werden (Menschenrechte,
Responsibility to protect statt Wirtschaftsinteressen –also
nur „Robin-Hood-Einsätze“). Andererseits
kann man mit angriffsfähigen Expeditionsstreitkräften
natürlich auch Einsätze zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen
durchführen oder an geopolitischen Ordnungskriegen teilnehmen.
Das Mittel bleibt gleich, nur die Absicht mag sich unterscheiden.
In der Realität wurde der Einsatz solcher Angriffsverbände
stets mit menschenrechtlichen Begründungen in die Wege
geleitet, wobei die offizielle Begründung der eigentlichen
Motivation nicht zwangsläufig entsprechen muss. Deutsche
Regierungsdokumente sehen allerdings bereits seit 1992 Einsätze
aus rein wirtschaftlichen Motiven vor (vergl. Verteidigungspolitische
Richtlinien 1992).
Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Themen Freiwilligenarmee
und Wehrpflicht einordnen. Letztere wurde ja im Rahmen der
aktuellen Bundeswehrreform ausgesetzt. Während andere
westliche Staaten frühzeitiger nach dem Ende des Kalten
Krieges die Wehrpflicht abschafften oder aussetzten, wehrten
sich in Deutschland CDU/CSU und SPD jahrelang mit Händen
nun Füßen dagegen. Der Effekt war, dass der Aufbau
der Expeditionstruppen der Bundeswehr gehemmt wurde. Inzwischen
hat sich die Bundeswehr der bei Auslandseinsätzen störenden
Wehrpflichtigen aber entledigt.
Heute steht die Abschaffung bzw. Aussetzung der Wehrpflicht
in einem anderen Kontext als vor 20 Jahren: War sie in den
90er Jahren noch in einen Abrüstungsprozess eingeordnet,
dient sie nunmehr der Effizienzsteigerung einer angriffsfähigen
Armee. Andersherum zugespitzt: Das Beenden der Aussetzens
der Wehrpflicht würde Sand ins Getriebe der „Armee
im Einsatz“ streuen.
Spielte in der Vergangenheit die Frage „autonome Einsetzbarkeit
einer nationalen Angriffsarmee“ oder „internationale
Einbindung“ noch eine gewisse Rolle, so ist die Antwort
heute eindeutig: Niemand in der deutschen Militärdiskussion
zielt auf die eigenständige Einsetzbarkeit, schon gar
nicht in der GRÜNEN Partei. Im Gegenteil: Internationales
Pooling and Sharing bis hin zu Formierung einer EU-Armee werden
propagiert.
Entsprechend lautet die nächste nachgeordnete Frage:
Wie / in welchem organisatorischen Kontext(en) sollen die
deutschen Expeditionsstreitkräfte eingesetzt werden?
Organisatorisch gibt es aktuell drei Möglichkeiten: a)
innerhalb der NATO (Kosovo, ISAF in Afghanistan), b) innerhalb
der EU (Bosnien), c) in einer Koalition der Willigen (Operation
Enduring Freedom), die möglicherweise auch auf organisatorische
Fähigkeiten von EU oder NATO zurückgreift. Denn
in einer übergeordneten EU-Armee wird die Bundeswehr
in den nächsten 4 Jahren kaum aufgehen.
Neben dem organisatorischen Kontext hat natürlich jeder
Einsatz auch eine juristische Dimension. Sollen die Einsätze
völkerrechtskonform (also mit UN-Mandat, Beispiel: ISAF)
oder völkerrechtswidrig (also ohne UN-Mandat, Beispiel
Kosovo-Krieg und OEF) stattfinden?
Bei den UN-Mandaten wird zwischen „friedenserhaltenden“
(Kapitel-VI) Mandaten und „friedenserzwingenden“
(Kapitel VII) Mandaten (= Kampfeinsätze) unterschieden.
Fast alle gegenwärtigen Bundeswehreinsätze sind
juristisch gesehen Kampfeinsätze (ISAF, Kosovo…).
Der Marineeinsatz vor der Küste Libanons beruht dagegen
auf Kapitel VI.
Friedenserhaltende Einsätze dienen traditionell dazu,
Waffenstillstände zu überwachen. Beide Konfliktparteien
geben dazu ihre Zustimmung. Entsprechend können die Einsätze
theoretisch von „nicht-angriffsfähigen“ Verbänden
ausgeführt werden. D.h. eine nicht angriffsfähige
Bundeswehr könnte prinzipiell an friedenserhaltenden
Missionen teilnehmen. Allerdings müsste man entsprechende
Einsatzkräfte dafür speziell schulen, da Waffenstillstandsüberwachung
ja auch immer etwas Anderes ist als „Landesverteidigung“.
Insofern wurden von den GRÜNEN in den 90er Jahren adäquate
Schulungsprogramme verlangt: „Militär muss für
Peace-Keeping-Einsätze umgeschult werden.“ (Bundestagswahlprogramm
1998, S.148)
Was wollen die GRÜNEN 2013 für eine Bundeswehr?
Der GRÜNE BT-Wahlprogrammentwurf 2013 gibt als Richtung
vor: die Bundeswehr müsse „umgebaut werden mit
dem Ziel, dass sie ihren stabilisierenden und schu¨tzenden
Aufgaben in internationalen Konflikten besser gerecht werden
kann“. Gleichzeitig wird in dem Entwurf mitgeteilt,
dass man ja wisse, dass „nicht alles gleichzeitig finanzierbar
ist. Unsere Priorita¨ten sind ausgewogen, durchgerechnet
und damit ein verla¨ssliches Angebot an die Wa¨hlerinnen
und Wa¨hler...“ Diese hätten also einen Anspruch
auf Beantwortung der Frage: Wie hoch wäre denn bitte
ein Militäretat für die von den GRÜNEN gewünschte
Bundeswehr? Die entsprechende Rechnerei ist natürlich
schwierig bzw. komplett nicht machbar oder nachvollziehbar,
wenn man die zugehörigen Waffenbeschaffungsprojekte und
Personalzahlen nicht verrät. Bei der BDK in Hannover
2012 wurde beschlossen, dass die GRÜNEN keine bewaffneten
Drohnen für die Bundeswehr beschafft sehen wollen. Dafür
würde also kein Geld ausgegeben werden müssen. Was
ist mit den modernen Transportflugzeugen und all den anderen
Waffen, die eine schnelle Eingreiftruppe benötigt? Soll
überhaupt irgendetwas abgerüstet werden? Wenn ja:
was?
Nicht zuletzt bleibt auch die Frage unbeantwortet, worin sich
das operative GRÜNE Bundeswehrkonzept denn bitte sehr
von dem der Schwarz-Gelben Regierung unterscheidet. Es wäre
ehrlich, den WählerInnen hier reinen Wein einzuschenken
und sich nicht hinter allgemeinen Floskeln zu verstecken oder
nichtige Unterschiede im Rahmen des beliebten Schwarz-Gelb-Bashing
auf die Größe von Grundsatzfragen aufzublasen.
Wenn die GRÜNE Mehrheit also bitte einmal aufschreiben
könnte, wie ihre gewünschte Bundeswehr aussehen
soll und wie viel sie kostet, könnte man sich fundiert
darüber politisch auseinandersetzen.
Kontakt:
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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