28.03.2012
Uli Cremer
NATO zu Gast bei Freunden?
Abzugsszenarien von NATO-Kriegern aus Afghanistan
Die Afghanistankriegsfront beginnt zu bröckeln. Es sind
nicht mehr nur die notorischen KritikerInnen und Friedensbewegten,
die auf einen beschleunigten Abzug drängen. Harald Kujat,
seines Zeichens General a.D. und von 2002-2005 Vorsitzender
des Militärausschusses der NATO, hält den Afghanistan-Einsatz,
den er seinerzeit selbst an führender Stelle vorangetrieben
hat, für gescheitert. Gegenüber der Mitteldeutschen
Zeitung erklärte er: "Wir haben genug Opfer gebracht
und genug geleistet... Und wenn man nicht willkommen ist,
dann geht man irgendwann. Ich habe nichts gegen einen früheren
Abzug." (17.03.2012)
Absatzbewegungen sind jedoch nicht auf pensionierte Militärs
beschränkt: Als im Januar 2012 französische Soldaten
von afghanischen Verbündeten erschossen worden waren
fasste der amtierende Präsident Sarkozy einen schnelleren
Abzug ins Auge. Bis Ende 2013 sollten alle französischen
Soldaten wieder zuhause sein. Der aktuelle Umfragefavorit
bei den kommenden französischen Präsidentschaftswahlen
Hollande hat sogar angekündigt, die französischen
Truppen bis Ende 2012 abzuziehen. Das spanische Beispiel im
Irakkrieg zeigt, dass ein sozialistischer Staatschef mit einem
militärischen Abzug durchaus Ernst machen kann. Als Zapatero
2004 den Wahlsieg davon getragen hatte, setzte er das entsprechende
Wahlversprechen tatsächlich binnen weniger Monate um.
Insofern konnte man in den letzten 7 Jahren denjenigen, die
in Deutschland einen Abzug innerhalb von 6 oder 12 Monten
für „schon organisatorisch nicht durchführbar“
hielten, stets den Tipp geben, spanische Militärberater
zu Rate zu ziehen.
Nun steht und fällt der Afghanistankrieg der NATO nicht
mit dem Ausscheiden des französischen Militärs aus
dem Krieg. Da der Krieg seitens der NATO ohnehin stärker
technisiert werden soll (Stichwort: Ausweitung des Drohnenkriegs),
um eigene Opfer zu vermeiden, sind 3.491 Franzosen zu ersetzen.
Hinzu kommen handfeste Kostengründe, die ohnehin zur
Reduktion der NATO-Truppenstärke führen. Konkret
sollen die US-Streitkräfte bis Ende 2012 von 90.000 auf
68.000 Soldaten reduziert werden. Weitere 20.000 US-Soldaten
sollen bis Ende 2013 das Land verlassen. Sofern der politische
Wille existierte, könnte der gesamte NATO-Einsatz organisatorisch
problemlos bis Ende des Jahres beendet werden – zumal
nicht alles Material wieder aus Afghanistan abtransportiert
würde: „Ganze Feldlager mit Wohn- und Sanitärcontainern,
Generatoren und Wasseraufbereitungsanlagen werden wohl übergeben
werden, an die afghanischen Streitkräfte oder als Campus-Universität
Kundus, wie eine Idee lautet.“
Reduzieren muss die NATO ihre Truppenanzahl aber wohl auch,
weil sie seit inzwischen vier Monaten keinen Nachschub mehr
über die pakistanische Nachschubroute transportieren
kann. Zur Erinnerung: Ende November 2011 hatte die NATO bei
einem Angriff auf einen pakistanischen Grenzposten 24 Soldaten
getötet. Seitdem können die Nachschubgüter
nur noch auf dem Luftwege oder über die Nordroute nach
Afghanistan gebracht werden. Besuche von verschiedenen NATO-Verteidigungsministern,
u.a. von Panetta und de Maizière, konnten die Lage
bisher nicht ändern. Selbst wenn die Route wieder freigegeben
wird, ist ständig mit neuen Störungen und erneuten
Unterbrechungen zu rechnen. Also dürften sich die NATO-Logistiker
auf die alternative Nordroute konzentriere. Diese führt
bekanntlich über das Gebiet, in dem die Bundeswehr das
Kommando hat.
Etwa 50% des Nachschubs wurde bisher über Pakistan transportiert.
Zahlreiche Engpässe in der Kriegsführung, über
die natürlich in den Medien nicht berichtet wird, sind
die Folge. Ohne Treibstoff können z.B. keine Bodenoffensiven
gestartet werden. Insofern wird der von Karsai oder auch von
GRÜNEN SicherheitspolitikerInnen erhobenen Forderung,
die Offensivaktionen einzustellen und die Truppen auf ihre
Stützpunkte zurückzuziehen, von ungeahnter Seite
Nachdruck verliehen. Waffenstillstand durch Nachschubblockade
gewissermaßen.
Offiziell hat die NATO beschlossen, ihre Kampftruppen bis
Ende 2014 abzuziehen. Danach, von 2015 bis 2024, begänne
nach NATO-Kalender die so genannte „Transformationsdekade“.
Auch in diesen 10 Jahren sind westliche Truppen in Afghanistan
vorgesehen. Die US-Regierung verhandelt mit dem Karzai-Regime
über Truppenstützpunkte bis 2024. Vom Umfang her
ist an bis zu 25.000 Soldaten gedacht. Bereits im Herbst 2011
hatte die vom Regime Karsai eingesetzte Lorga Dschirga diesen
US-Plan unterstützt. Auch die entsprechende Bautätigkeit
ist schon in vollem Gange. Jochen Stahnke von der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung ist wie anderen Mazar-i-Sharif-BesucherInnen
„die rege Bautätigkeit der Amerikaner“ aufgefallen,
„die Größe des Lagers wird nahezu verdoppelt.“
Am 1.1.2012 meldete die Süddeutsche Zeitung, dass nach
2014 weiterhin 15.000 NATO-Soldaten mit von der Partie bleiben
sollen. Wenn diese „on top“ kommen, ergibt sich
eine Gesamtzahl von 40.000 westlichen Soldaten. Wenn die 25.000
US-Soldaten bereits das US-Kontingent für die NATO erhält,
vielleicht auch nur 30.000. Denn die USA stellt aktuell gut
2/3 der 130.000 ISAF-Soldaten in Afghanistan. 2/3 von 15.000
sind 10.000. Dann würden die anderen NATO-Staaten noch
5.000 beisteuern müssen. Der Chef des Bundeswehrverbandes
Kirsch hält die NATO-Zahl allerdings für unangemessen
niedrig: "Ich bin sehr skeptisch, dass man so weit reduzieren
kann." (SZ 1.1.2012)
Soweit der bisherige Plan.
Die Ereignisse der letzten Zeit lassen jedoch immer mehr
Zweifel aufkommen, dass der Plan aufgeht bzw. umgesetzt wird.
Ein gewichtiges Problem ist das Verhalten der US-Streitkräfte
vor Ort, die sich so aufführen, wie Besatzungstruppen
das eben so machen. Letzte Highlights bzw. Lowlights war die
Verbrennung von Koran-Exemplaren (durch US-Soldaten) in Bagram
sowie die Ermordung von 16 afghanischen Zivilisten am 11.3.
in zwei Ortschaften nahe Kandahar. Über den Tathergang
kursieren zwei Versionen: Während die US-Streitkräfte
bekannt gaben, es habe ein Amoklauf eines Einzeltäters
stattgefunden, behaupten alle afghanischen Fact-Finding-Kommissionen
(auch die des gewählten Parlaments), dass es 15 bis 20
Täter gab . Selbstverständlich konnten die Afghanen
den Täter nicht selbst vernehmen. Auch können sie
ihn nicht in Afghanistan vor Gericht stellen. Denn das US-Militär
schaffte ihn schnell außer Landes, um ihn vor ein US-Militärgericht
zu bringen. Legt man die Urteile zu Verbrechen durch US-Soldaten
im Irak zu Grunde, kann der mutmaßliche Mörder
mit einer milden Strafe rechnen. Dieses Vorgehen steht übrigens
in völliger Übereinstimmung mit einer Vereinbarung
zwischen der ISAF und der Karsai-Regierung. Danach untersteht
„das ISAF-Personal ausschließlich der Strafgerichtsbarkeit
seines Herkunftslandes“ .
Im Ergebnis hat sich das Verhältnis der NATO-Truppen
zu den einzelnen afghanischen Akteuren weiter verschlechtert.
Das Motto der Fußball-WM von 2006 „Zu Gast bei
Freunden“ gilt in weiten Teilen Afghanistans immer weniger.
Sichtbarer Ausdruck ist das offensichtliche Scheitern der
westlich-afghanischen Zusammenarbeit. So wurden nach der Tötung
zweier US-Offiziere durch einen Afghanen im Kabuler Innenministerium
alle westlichen Berater aus den diversen Ministerien abgezogen,
darunter auch die deutschen. Auch bei der Ausbildung und Zusammenarbeit
im militärischen Bereich misstrauen die westlichen Soldaten
ihren afghanischen Verbündeten zunehmend, sind doch seit
2007 nicht wenige westliche Soldaten durch vermeintliche afghanische
Kameraden getötet worden, die sich als eingeschleuste
bzw. übergelaufene afghanische Soldaten entpuppten. Genaue
Zahlen die ISAF vorsichtshalber unter Verschluss. Nach einem
öffentlich gewordenen regionalen Bericht aus Ostafghanistan
sind in dieser Region 6% der ISAF-Verluste auf das aktive
„Friendly Fire“ zurückzuführen.
Das Partnering-Konzept, bei dem die NATO-Streitkräfte
mit den afghanischen Truppen gemeinsam agieren (soll heißen:
diese ausbilden und mit ihnen gemeinsame Kampfeinsätze
durchführen), ist im Grunde gescheitert. Das würde
im Brüsseler NATO-Hauptquartier natürlich niemand
öffentlich zugeben. Sicherheitshalber verabschiedete
man dort „ein neues Konzept“, um die eigenen „Leute
besser zu schützen.“ Die Module: „Afghanische
Rekruten sollen künftig besser überprüft werden...
Es soll mehr Personal zur Bekämpfung von Infiltration
geben... Die afghanische Aufklärung soll verstärkt
werden... Vor allem aber werde man westliches wie afghanisches
Personal stärker über kulturelle Unterschiede der
jeweils anderen Seite schulen“ .
Da das Partnering-Konzept zentrales Element der NATO-PR-Story
ist, kann es nicht einfach aufgegeben werden. Die NATO-Erzählung
beinhaltet seit 2010, dass die NATO verantwortlich aus Afghanistan
abziehen kann, weil sie erfolgreich einheimische Sicherheitskräfte
aufgebaut und trainiert hat, die an Stelle der NATO die „Sicherheit“
im Lande gewährleisten. Entsprechend reißt die
Kette der NATO-Erfolgsmeldungen darüber, wie viele afghanische
Sicherheitskräfte schon existieren und in welchen Bezirken
die Afghanen nun schon selbst die Sicherheit gewährleisten,
nicht ab. Der Realitätsgehalt der NATO-Meldungen kann
nicht von neutraler Stelle überprüft werden. In
Wirklichkeit gelingt es angesichts der Verluste im Bürgerkrieg,
der Desertationen und der zeitweisen Abwesenheiten wohl kaum
die Präsenzstärken der Sicherheitskräfte aufrecht
zu erhalten, geschweige denn, diese auszubauen. Insofern baut
die NATO der staunenden Öffentlichkeit Potemkinsche Fassaden
auf.
Das ambitionierte und verkündete Ziel der NATO war es
bisher, bis Ende 2012 afghanische Sicherheitskräfte in
der Größenordnung von 352.000 Mann aufzubauen.
Vor zwei Monaten zauberte US-Verteidigungsminister Panetta
den Vorschlag auf den Tisch, die Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte
auf nur 230.000 Mann festzulegen. Das konnte man einerseits
an Anpassung an die Realität verstehen. Andererseits
sparte der Westen damit signifikant Kosten, obwohl selbst
so abgespeckt jährlich 1,1 Mrd. US-$ fällig würden
. Denn das arme Afghanistan könnte selbst nicht einmal
ansatzweise mehrere hunderttausend Sicherheitskräfte
finanzieren. Der deutsche Verteidigungsminister de Maizière
geht jedoch davon aus, dass die NATO tatsächlich 350.000
Mann ausbilden wird bzw. schon ausgebildet hat (die offizielle
NATO-Zahl ist aktuell etwa 320.000). Später würde
dann der Umfang auf 230.000 reduziert. Seine Rechnung: Es
gäbe 120.000 Mann, die „jetzt ausgebildet werden,
dann aber nicht in der Armee bleiben“. Aber er will
„natürlich nicht, dass diese von uns ausgebildeten
Männer einfach die Seite wechseln.“ Sein Plädoyer
ist deswegen, „die internationale Gemeinschaft“
müsse angemessene Finanzmittel bereit zu stellen. Während
andere Befürworter des westlichen Afghanistankriegs den
Vergleich zum sowjetischen Krieg in den 1980ern scheuen wie
der Teufel das Weihwasser, hat de Maizière keine Skrupel,
von der Sowjetunion zu lernen: „Die Russen sagen, es
sei der entscheidende Fehler der Sowjetunion gewesen, ersatzlos
aus Afghanistan abzuziehen und nach zwei Jahren die Finanzierung
einzustellen.“
Offenbar haben die einzelnen NATO-Mächte unterschiedliche
Auffassungen, wie es in Afghanistan weitergehen soll. Dabei
erweist sich, dass es insbesondere die Deutschen sind, die
sich einem beschleunigten Abzug in den Weg stellen. Dabei
verteidigen sie auch die bekannte Fußnote des Abzugplans:
„Die Konditionalität eines Abzugs - die Abhängigkeit
von der Sicherheitslage – müsse man immer wieder
betonen“. So Rupert Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen
Ausschusses (CDU). Auch die Äußerung der Bundeskanzlerin
Merkel, ‚angesichts der Sicherheitslage könne sie
„noch nicht sagen“, ob der Abzug bis 2014 möglich
sei’, entspricht exakt der aktuellen NATO-Position.
Es sind die Kritiker Merkels, die offenbar die NATO-Beschlüsse
nicht richtig gelesen haben!
Glaubt man den Äußerungen des afghanischen Präsidenten
Karsai von Mitte März, ist der Aufbau der afghanischen
Armee sogar schon soweit vorangeschritten, dass die NATO ihre
Truppen bis Ende 2013, also ein Jahr früher als von der
NATO geplant, abziehen kann. Anlässlich des Besuchs des
US-Verteidigungsministers Panetta teilte er mit: „Wir
sind bereit, alle Sicherheitsverantwortung für das Land
zu übernehmen.“ Die Reaktion der NATO-Staaten war
keineswegs, dass man erfreut einschlug und die eigenen Soldaten
die Koffer packen ließ. Vielmehr machte Washington bei
der Gelegenheit noch einmal klar, wer in Kabul das Sagen hat
und wer nicht. Es bleibe bei den bisherigen NATO-Plänen,
hieß es. „Immerhin telefonierte Präsident
Obama mit Karzai wegen der Sache... Das Weiße Haus teilte
mit, beide seien sich einig gewesen, dass die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen wie geplant bis
Ende 2014 abgeschlossen werde, nicht etwa früher.“
Im Dezember hatte Karsai in Berlin noch zu Protokoll gegeben,
die Bundeswehr sei "herzlich willkommen, uns auch nach
2014 zu helfen". Und: "Aus unserer Sicht könnte
die Bundeswehr für immer hier bleiben...“ Das klang
nach „Die Bundeswehr – zu Gast bei Freunden“,
doch nun soll auch sie nach Wunsch des afghanischen Präsidenten
Ende 2013 abziehen.
Aber deutsche Regierung und die entsprechende Parlamentsmehrheit
denken nicht daran, dem Wunsch des Gastgebers nachzukommen
und 2013 abzurücken. In den Parteien CDU, CSU, FDP, SPD
und GRÜNE sind es weiterhin nur die üblichen Verdächtigen,
Minderheiten, die einen Abzug vor 2014 verlangen; hinzu kommt
die Linkspartei. Wer wie die GRÜNE Bundestagsfraktion
einen konkreten deutschen Abzugsplan bis 2014 verlangt, mithin
am Datum 2014 festhält, bleibt ziemlich genau 24 Monate
hinter der Position des möglichen zukünftigen französischen
Präsidenten zurück. Auch in der SPD findet der Sozialist
Hollande keine Unterstützung für sein Abzugsdatum
Ende 2012.
Besonders der zuständige Minister de Maizière
wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass auch nach 2014
deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert sein würden.
Die entsprechenden NATO- bzw. US-Pläne für die Dekade
2015-2024 wurden bereits erwähnt. Bleibt die Frage, ob
es denkbar ist, dass die Pläne einfach aufgegeben werden.
Ein Ausweg wäre natürlich eine politische Verständigung
mit den Aufständischen. Verhandlungen zwischen USA und
Taliban über den Austausch von Gefangenen hatte es in
den letzten Monaten durchaus gegeben; fünf Guantánamo-Häftlinge
sollten nach Qatar überstellt und dafür ein gefangener
US-Soldat freigelassen werden. Den Taliban wurde in diesem
Zusammenhang Anfang 2012 gestattet, ein Büro in Qatar
zu eröffnen. Aber auch diese Gespräche wurden von
Koranverbrennungen und „Amoklauf“ in Mitleidenschaft
gezogen und liegen auf Eis. Die Taliban warfen den US-Unterhändlern
zudem vor, „gegen Absprachen verstoßen und inakzeptable
Bedingungen gestellt zu haben.“ Die Erfolgsaussichten
sind ohnehin davon getrübt, dass die Taliban nicht gewillt
sind, mit dem „Marionetten-Regime von Karzai“
Verhandlungen zu führen. Von daher steht eine politische
Flankierung eines Gesicht wahrenden westlichen Abzugs in den
Sternen.
Undenkbar ist zunächst einmal, dass die Bundeswehr in
Afghanistan bleibt und die anderen NATO-Staaten ihre Truppenkontingente
abziehen. Folge wäre nämlich, dass Deutschland sich
dann allein auf dem Präsentierteller befände und
so zum Terrorziel Nr. 1 werden könnte. Der Slogan „Gemeinsam
rein, gemeinsam raus“ ist aus deutscher Sicht unhintergehbar.
Insofern ist der Verbleib der Bundeswehr an den Verbleib der
US-Truppen geknüpft. Ein unilateraler Abzug etwa des
französischen Kontingents beeinflusst das deutsche Handeln
dagegen nicht.
Welchen Nutzen hätten die USA von einer langjährigen
Militärpräsenz?
Für die Ausbeutung und Kontrolle afghanischer Bodenschätze
ist eine US-Militärpräsenz nicht von Nöten.
Das zeigt der Abzug der US-Truppen aus dem Irak. Die These,
dass die westlichen Truppen zur Absicherung eines Gas-Pipeline-Baus
oder wegen des Abbaus seltener Erden in Afghanistan stationiert
seien, ist nicht stichhaltig, zumal wichtige Bergbaulizenzen
in den letzten Jahren an chinesische Unternehmen gingen.
Der Krieg ist vielmehr im Kontext internationaler Ordnungspolitik
anzusiedeln. Bezogen auf die Gesamtregion besitzen die USA
für sie besser erreichbare und damit im Unterhalt kostengünstigere
Stützpunkte am Persischen Golf (z.B. in Qatar, Bahrein
und Kuwait). Viele der Waffen, die für Luftangriffe gegen
den Iran eingesetzt würden, sind auf Kriegsschiffen stationiert.
Ein Luftkrieg gegen den Iran ist für die USA auch ohne
einen afghanischen Stützpunkt möglich. Für
die Kontrolle Afghanistans, aber auch Pakistans könnte
jedoch eine Restpräsenz aus US-Sicht vorteilhaft sei,
z.B. in Form eines Stützpunktes in Mazar-i-Sharif sein.
Auch der deutsche ISAF-Regionalkommendeur in Nordafghanistan
vermutet, „dass Mazar-i-Sharif einer der letzten Standorte
ist, der im Norden geschlossen wird. Für jene Nationen,
die sich über 2014 engagieren wollen, bietet die Stadt
unter anderem mit ihrem Flugplatz einen zentralen geeigneten
Standort im Norden.“ Von dort aus könnte auch der
Drohnenkrieg gegen Ziele in der Region geführt werden.
Ob zusätzlich noch Kabul gehalten werden soll, entscheiden
Imageüberlegungen. Um handfeste militärische Vorteile
ginge es dabei nicht.
Es ist damit zu rechnen, dass weitere NATO-Staaten auch nach
2014 in Afghanistan Truppen stationieren. Das Motiv für
die sehr wahrscheinliche Bundeswehr-Präsenz „in
der Transformationsdekade“ 2015-2024 kann man in einem
20 Jahre alten Dokument nachlesen. In den Verteidigungspolitischen
Richtlinien von 1992 heißt es: „Wenn die internationale
Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet
ist, muss Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft
auch militärische Solidarbeitra¨ge leisten können.
Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen
den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht,
mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung
gebracht werden können.“
Uli Cremer
Der Artikel erscheint leicht verändert als Printversion
in der April-Ausgabe der Zeitschrift „Sozialismus“
(Sozialismus 4/2012, S.23-26)
Siehe auch:
http://www.sozialismus.de/heft_nr_4_april_2012/detail/artikel/zu-gast-bei-freunden/
Fußnoten
1) Stephan Löwenstein: Rückzug als gefährliche
Selbstbeschäftigung, FAZ 17.03.2012
2) Vergl. z. B. „Abzugsdiskussion in Washington“,
FAZ 14.3.2012
3) Interview Jochen Stahnke mit General Kneip, FAZ 26.01.2012
4) „Afghanen glauben nicht an Einzeltäter“,
taz 20.03.2012
5) „Amokläufer ausgeflogen“, FAZ 16.03.2012
6) Thomas Ruttig: Der plötzliche Feind im Freund, taz
21.012012
7) „Panetta in Kandahar und Helmand“, FAZ 15.03.2012
8) Vergleiche hierzu Berechnungen in: Uli Cremer / Wilhelm
Achelpöhler: Abzug nach Gutsherrenart, in Sozialismus
2/2011, S.3
9) „Amokläufer ausgeflogen“, FAZ 16.03.2012
10) Thomas Ruttig: Der plötzliche Feind im Freund, taz
21.012012
11) „Panetta in Kandahar und Helmand“, FAZ 15.03.2012
12) Vergleiche hierzu Berechnungen in: Uli Cremer / Wilhelm
Achelpöhler: Abzug nach Gutsherrenart, in Sozialismus
2/2011, S.3
13) Nikolas Busse: Moskaus Fehler vermeiden, FAZ 22.03.2012
14 ) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,801526,00.html
gef. 8.12.2011
15) „Karzai verlangt früheren Rückzug der
Nato aus Afghanistan“, FAZ 16.03.2012
16) Interview mit General Markus Kneip, in: FAZ 26.01.2012
17) Die ersten 4 US-Kampfdrohnen wurden Ende 2011 in Mazar-i-Sharif
stationiert. S. „Nato stationiert leise Killer im Bundeswehrgebiet“,
SPON 2.12.2012
18) Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26.11.1992, in:
Blätter für deutsche und internationale Politik
9/1993, S.1144
Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622
cremer@gruene-friedensinitiative.de
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392
achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
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